Donnerstag, 31. Mai 2012

Geschichte

Heute sollten wir in der Schule einen Teil einer Geschichte schreiben. Es war nur der Anfang und das Ende auf dem Blatt.

Zu meinem Friseur werde ich auch nicht mehr gehen. Er redet zu viel über Dinge,von denen er nichts versteht. Jahrelang habe ich zugehört,wie alle nur erdenklichen Ereignisse der Tagesgeschehens in seinem kleinen Salon zu Legenden wurden,wie ihnen hier die einzig wahre Deutung zuteil wurde. Mit weit zurückgebeugtem Oberkörper ließ er Diktatoren stürzen,Koalitionsverhandlungen platzen und Sportlerkarrieren ein dramatisches Ende nehmen,während sich seine Schere synchron zum Mund öffnete und schloss und Haarbüschel für Haarbüschel lautlos auf den schmutzigen PVC-Boden hinabschwebte.
Und ich habe alles geglaubt!
Seit sechs Wochen ist das anders;seit sechs Wochen weiß ich,dass er sich das alles nur ausdenkt um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Es war mal wieder einer dieser Tage an denen er einen seiner Romane erzählte und als nach einer gefühlten Ewigkeit aus dem Salon kam,hörte ich,wie einige Leute sich über seine Geschichten aufregten. Zuerst wollte ich gar nicht glauben was ich da hörte,dass die Ereignisse von denen er erzählte nur ausgedacht waren oder total übertrieben erzählt waren. Aber dann wurde ich misstrauisch,ging nach Hause und überprüfte das was die Leute da gesagt hatten. Ich durchstöberte alte und neue Zeitungen,sah die Nachrichten im Fernseher und suchte im Internet. Irgendwann gab ich verzweifelt auf,die Leute hatten Recht gehabt und ich habe jahrelang diese Lügen geglaubt. Wie konnte ich nur so naiv sein? 
Jetzt saß ich hier und sah gedankenverloren aus dem Fenster während er redete und meine Haare immer kürzer wurden. Meine Turnschuhe quietschten vorwurfsvoll auf dem schmutzigen PVC-Boden,als ich zur Tür ging und mir ein unbeteiligtes Auf Wiedersehen abrang. Auf dem Weg zu meinem schönsten und einzigsten Sessel versuchte ich mir vorzustellen,wie ich mit langen Haaren aussehen werde.

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